Nach der Gründung des Vereins KULTURFENSTER e.V. Anfang 1983, der Anmietung von Ladenräumen in der Kleinschmidtstraße und dem erfolgreichen Sommerspektakel im Juni 1983 starteten die alternativen Jungunternehmer*Innen durch. Sie wussten konzeptionell und inhaltlich relativ genau, was sie erreichen wollten: kreative, kritische, unkonventionelle und politisch motivierte kulturelle und pädagogische Aktionen zur Veränderung der Welt!
Mit diesem Potpourri an Angeboten für Kinder, Jugendliche und Erwachsene verbesserten sie natürlich nicht das sehr angespannte Verhältnis zur etablierten kommunalen Politik und zur Stadtverwaltung in Heidelberg und schon gar nicht zum Oberbürgermeister Zundel. Der war genauso krawallig unterwegs wie die jungen Rebellinnen aus der Weststadt. Neue Konflikte waren somit unvermeidlich, denn in jedem der unten stehenden Themen- und Aktionsfeldern des jungen Vereins KULTURFENSTER steckte ein erhebliches Potential an kommunalpolitischem Zündstoff:
Projekte, Aktionen und Visionen des KULTURFENSTERS
Großes Überthema:
Spiel- und Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen in Heidelberg verbessern, kreative Freiräume für die junge Generation in Heidelberg schaffen !
In enger Zusammenarbeit mit dem gleichzeitig gegründeten gemeinnützigen Sozialunternehmen „DIE WERKSTATT e.V.“ * setzte sich das KULTURFENSTER intensiv mit der Spiel- und Lebenssituation von Kindern in Heidelberg auseinander. Das „KULTURFENSTER“ beschäftigte sich mit dem neuen Konzept der mobilen Spiel-und Kulturpädagagogik, „DIE WERKSTATT e.V.“ entwickelte neue, künstlerisch und kreativ gestaltete Konzepte für Kinderspielplätze. Diese planten und bauten sie selbst und kooperierten dabei mit regionalen Künstlern und schufen gleichzeitig Arbeits- und Ausbildungsplätze für sozial benachteiligte junge Arbeitslose.
1. Mobile Spiel -und Kulturpädagogische Projekte für Kinder, als temporärer Beitrag zur Verbesserung der als schlecht erkannten Spielsituation von Kindern in der Stadt, natürlich auch in Heidelberg. Vorbild war die „Pädagogische Aktion München e.V.“, die als Ideengeber und auch als Ratgeber hilfreich zur Seite stand. Starterprojekte waren der Kindercircus Pico-Pello (ab 1983) , das Spielmobil HalliGalli (ab 1983/1984), Stadtteilgeschichten, ökologisch orientierte Spielaktionen u.a.m. Später dann die sehr erfolgreiche Kinderspielstadt „Mittelalter zum Mitmachen“ (1985) und Heidelyork ab 1988.
2.Fachseminare zur „Situation von Kindern in der Stadt“ in enger Zusammenarbeit mit dem Verein DIE WERKSTATT e.V. – SPIELRÄUME der eigenen ART“. Diese Seminare sprachen tw. auch ein bundesweites Fachpublikum an. Der miserable Zustand der Heidelberger Spielplätze, aber auch der Verkehr und Umweltprobleme waren zentrale Themen: Wie kann eine engagierte Bürger*Innenschaft auf politischem Weg die Lebenssituation von Kindern in der Stadt verbessern?
3.Feste Kinder- und Jugendgruppen im Stadtteil, auch mit thematisch orientierten Angeboten zur Stadtteilgeschichte, wie z.B. die Mitmachaktion „Wie Oma und Opa früher lebten“ im Kontext der gleichnamigen Ausstellung im KULTURFENSTER (1985) oder Aktionen gegen den erstarkenden politischen Rechtsextremismus.
4. Lokal-und stadtteilpolitische Diskussionen mit und für erwachsene Weststädter*Innen. Der Kulturladen sollte ein offener politischer Diskussionsraum sein. Das KULTURFENSTER lud zu Veranstaltungen ein, die sich mit der Weststadtgeschichte, der beginnenden Gentrifizierung (Ausstellung zur Weststadtgeschichte, 1985), mit der Situation von Kindern in der Stadt, mit dem OB-Wahlkampf 1984, mit der Studentenbewegung, mit der Verkehrsbelastung u.a.m. befassten.
5. Kleinkulturveranstaltungen im Stadtteil, wie z.B. das Kulturcafe am Freitagabend mit Lesungen Heidelberger Autor*Innen Elisabeth Alexander, Jörg Burkhard, Werner Hacker und anderen.
6.Kulturpädagogische Bildungsveranstaltungen für Mitarbeiter*Innen und sonstige Interessierte
7. Vernetzung der neuen alternativen Kulturgruppen in Heidelberg und Durchführung gemeinsamer KULTURPROJEKTE. Die alternative Kulturszene wuchs in den 80 er Jahren an: Mediengruppe Schrägspur, Jazzclub, Taeter Theater, KULTURFENSTER, Cinambul, Freie Musikschule Heidelberg usw. usf. Aus diesen Reihen heraus entstand der „Heidelberger Stadtkulturring“ als kommunalpolitisches Vertretungsorgang gegenüber der kommunalen Politik. Der Stadtkulturring lud 1985 zum ersten „Heidelberger Kulturfrühling“ ein, bei dem die beteiligten Gruppen ihre kulturellen Produktionen präsentierten und auch finanzielle Förderung durch die Stadt Heidelberg einforderten. In der damaligen alternativen kommunalpolitischen Zeitung „COMMUNALE“ (1984 bis etwa 1990, die aus der Heidelberger Rundschau hervor ging) lag einmal monatlich eine Beilage „Collage“ des Stadtkulturrings bei. Dort wurden Veranstaltungen angekündigt, die kommunale Kulturpolitik kommentiert und kritisiert und natürlich auch kulturpolitische Forderungen an den Heidelberger Gemeinderat und die Stadtverwaltung formuliert.
Es fehlte also kaum ein kommunalpolitisches Fettnäpfchen, in das man in den 80er Jahren treten konnte. Die Macher*Innen des KULTURFENSTERS schreckte dies aber zunächst nicht, es war eher ein ständiger Ansporn, für „ andere politische Verhältnisse“ zu kämpfen. Zumindest bis ca. Ende der 80 er Jahre. Dazu später mehr.
Die Vielfalt der Angebote des KULTURFENSTERS zeigt sich auch im Inhaltsverzeichnis der Dokumentation anlässlich des 5 jährigen Bestehens des KULTURFENSTERS 1988:
Arbeiten ohne Chefs
Ganz im damaligen Zeitgeist verwurzelt, war das KULTURFENSTER natürlich basisdemokratisch organisiert: Alle Mitwirkendenden sollten mitreden und mitentscheiden, der Verein war demokratisch aufgebaut, Hierarchien wurden grundsätzlich abgelehnt. Der junge Verein wollte auch als alternativer Betrieb so bald als möglich bezahlte Arbeitsplätze für junge, arbeitslose Pädagog*Innen anbieten. Die Akademiker*Innenarbeitslosigkeit war in den 80 er Jahren sehr hoch.
Arbeiten ohne Geld: Ohne Moos nix los
Ideen, Konzepte und auch Menschen, die diese umsetzen wollten: daran mangelte es nicht. Es fehlte lediglich eine „gesunde“ Finanzbasis. Zunächst trug sich der neue Verein aber vor allem durch ehrenamtliche Arbeit, bzw. durch „Selbstausbeutung“.
Prekäre Finanzierung
Die finanzielle Lage des KULTURFENSTERS war prekär. Außer einem kleinen finanziellem Polster aus den vergangenen Zeiten der autonomen, linkskatholischen Jugendarbeit in der Weststadt, kleinen Einnahme aus dem Sommerspektakel und sehr überschaubaren Privatspenden gab es kein finanzielles Budget für die vielen Projektideen.
Der Verein rettete sich Monat für Monat finanziell über die Runden. Vor allem musste die monatliche Miete für den Kulturladen aufgebracht werden. Die praktische Arbeit wurde ehrenamtlich erledigt.
Hilfe kam vom Selbsthilfenetzwerk Nordbaden. Es sammelte Spenden von Mandatsträger*Innen der jungen Grünen Partei ein und verteilte diese an alternative Projekte und Betriebe, auch an das KULTURFENSTER.
Um die finanzielle Lage zu verbessern, mussten aber weitere Einnahmen her, die alsbald durch bezahlte „Gigs“ des Spielmobils in den Umlandgemeinden Heidelbergs erwirtschaftet wurden. Sie reichten aber nicht aus, um die angestrebte Professionalisierung der Arbeit abzusichern.
Ohne öffentliche Förderung war eine mittelfristige Entwicklung also kaum vorstellbar.
Um diese zu erreichen, mussten viele kommunalpolitische Widerstände überwunden werden. Eine naive Vorstellung angesichts des konfliktträchtigen Themen- und Aktionsprogramms, wie oben beschrieben.
Öffentliche Anerkennung als Träger der freien Jugendhilfe als Voraussetzung der öffentlichen Finanzierung
Die öffentliche Anerkennung als Träger der freien Jugendhilfe durch Mitgliedschaft im Wohlfahrtsverband DPWV wurde vom Landesverband nach einer inquisitorischen Befragung des Vorstands des KULTURFENSTERS sofort abgeschmettert, weil das KULTURFENSTER als zu linke, vermeintlich dem KBW nahe stehende Organisation eingeschätzt wurde. Erst das beherzte Eingreifen der damaligen örtlichen Geschäftsführerin des DPWV öffnete die Türen des DPWV.
Damit war aber noch kein Geld in der Kasse. Das KULTURFENSTER hatte lediglich das „Recht“, Förderanträge bei der Stadt zu stellen.
Kommunale Förderung
Ein Antrag auf Förderung der Kinder-und Jugendarbeit des KULTURFENSTERS war schnell gestellt. Die Zustimmung des Oberbürgermeisters und des Gemeinderats, der weitgehend konservativ aufgestellt war, blieb aber natürlich aus, trotz der Unterstützung der neuen Gemeinderäte der GAL, die 1984 erstmals mit einer mittelgroßen Fraktion in den Gemeinderat einzog. Auch einige SPD-Mandatsträger*Innen sowie die „Liberale Demokraten / LD“ waren dem neuen Verein gegenüber nicht abgeneigt. Diese Gewogenheit reichte aber nicht für die notwendige politische Mehrheit im Gemeinderat aus, die für eine regelmässige Finanzierung für das KULTURFENSTER Voraussetzung war. Erst nach dem Rücktritt von OB Zundel, 1990, änderten sich die Verhältnisse. Gespräche und Verhandlungen mit der Stadt gab es aber schon seit 1985.
Angekommen
90 er Jahre: Der Erfolg vom Sommerspektakel und vom KULTURFENSER hält an, es gibt aber auch interne Brüche
Der Wahlerfolg von Beate Weber (SPD), der neuen Oberbürgermeisterin seit 1990, war auch ein Ausdruck des sozialen und politischen Strukturwandels in Heidelberg. Beate Weber beendete den nervenaufreibenden Kleinkrieg zwischen der alternativen Szene und der Stadtverwaltung. Das KULTURFENSTER erhielt Anfang der 90 er Jahre städtisch finanzierte Räume und eine verlässliche Personalfinanzierung. Es kam in der neuen, alternativen-grünen Mitte der Heidelberger Gesellschaft endgültig an.
Mit dieser Etablierung und Professionalisierung des KULTURFENSTERS endete aber auch Anfang der 2000er Jahre die Mitarbeit des KULTURFENSTERS beim Sommerspektakel, das in den Jahren davor immer auch eine gewisse finanziell sichere Einnahmequelle für die Vereinsarbeit war.
Auf dem Hintergrund üppiger fließender öffentlicher Fördermittel und der damit einhergehend die „Professionalisieurng“ des ehemals alternativen Vereins stellte das ehrenamtliche Engagement, das nach wie vor beim SOMMERSPEKTAKEL gefragt war, eher eine Belastung für die „Professionellen“ im Verein KULTURFENSTER dar. Das KULTURFENSTER stieg aus dem SOMMERSPEKTAKEL aus.
Der SPD – Orstverein Weststadt wurde nun unfreiwillig zum Hauptveranstalter des SOMMERSPEKTAKELS.
Dies bewirkte Veränderungen, diesmal innerhalb der Festveranstalter und einigen ihrer Unterstützergruppen. Es kam zu einigen Brüchen in der Organisation und der Form des Festes. Aktive Gruppen verabschiedeten sich, neue kamen hinzu.
Der linke Motorradclub „Kuhle Wampe“, seit Anfang des Festes ein sehr verlässlicher, aktiver und verantwortlicher Partner für den Bierausschank beendete z.B. Anfang der 2000er Jahre aus politischen Gründen sein Engagement beim Sommerspektakel. Die Rot-Grüne Bundesregierung und die Mehrheit im Bundestag beschlossen die deutsche Beteiligung am völkerrechtswidrigen NATO Angriff auf Jugoslawien. „Kuhle Wampe“ wollte nicht mit mehr mit der „Kriegspartei“ SPD zusammenarbeiten. Die Entscheidung von Kuhle Wampe fand Respekt bei vielen anderen am Sommerspektakel beteiligten Gruppen, die aber -„um des Festes willen“ – nicht den gleichen radikalen Schnitt vollziehen wollten.
Fazit?
Der „Mitmachcharakter“ des Festes, getragen von vielen Personen allen Alters, der auch eine gehörige Portion Chaos bedeutete, verwandelte sich zusehends in ein gut organisiertes, professionelles ehrenamtlich getragenes Stadtteilfest. Das Fest wird nach wie vor gerne und gut besucht, die Einnahmen fließen immer noch ausschließlich in soziale Gruppen.
Es stellt sich aber dennoch die Frage,welche innovative, gesellschaftliche, kulturelle, soziale Bedeutung ein solches Fest darüber hinaus heute noch haben könnte.
Oder reicht es aus, einfach nur stolz auf das nun 40 jährige Traditionsfest zu sein?
Solange die künftigen Sommerspektakel nicht mit einem Militärischen Großen Zapfenstreich, ähnlich wie 1982 beim 10jährigen Jubiläum des Stadtteilfest vom Weststadtverein, beendet werden- die Zeiten sind ja wieder eher danach – gibt es vielleicht noch Hoffnung.
Der interne Konflikt im Jahr 2024 um die Gestaltung des Sommerspektakeljubiläums angesichts der Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten und die Haltung des heutigen Gesamtveranstalters (SPD OV Weststadt-Südstadt) zu diesen Kriegen trüben aber diese Hoffnung stark ein.