HEIDELBERGER WESTSTADT
IM WANDEL

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1973: "Für diese Bank habe ich mitgesoffen"

 

Engagement im Stadtteil:

Der seit 1972 von der Gemeinde St. Bonifatius unabhängige katholische Jugendverband BDKJ engagierte sich beim „Weststadtfest“ des Stadtteilverein, das 1973 zum ersten Mal stattfand. 

Allerdings wollte der Jugendverband die Bierzeltkultur nach mehreren Jahren durch eigene kulturelle Ausdrucksformen verändern. Was seitens des Stadtteilvereins aber nicht so gerne gesehen wurde. 

Ende der 70 er Jahre fand das Engagement des BDKJ St. Bonifatius beim Stadtteilfest sein Ende. Die Ideen wirkten aber fort und führten 1983 zum Start des SOMMERSPEKTAKELS.

1973-1980:
Zusammenarbeit des BDKJ mit dem Stadtteilverein beim WESTSTADTFEST – aber auch Dissens über die Form des Festes
 1973
Erstes Weststadtfest des Stadtteilvereins: 

„Für diese Bank habe ich mitgesoffen“

Stadtteilverein Heidelberg-West, fest in der Hand der konservativen bis „rechtslastigen“ CDU in der Weststadt, lud 1973, anlässlich des 80 jährigen Jubiläums des Stadtteilvereins, zum „Ersten Weststadtfest“ ein.
Ein großer Erfolg, wie man der örtlichen Presse entnehmen kann. Bierzelt, Sauerkraut mit Knöchele, Blasmusik, Bier floss in Strömen, CDU-Honoratioren gaben sich die Ehre.
Der eine oder andere musste angeblich spätabends mit dem Notarztwagen zur Ausnüchterung in die nahe gelegene katholische Klinik gebracht werden. Die Aufforderung der Festveranstalter  ist anscheinend zu wörtlich genommen worden: „Saufen für neue Bänke auf dem Wilhelmsplatz“ (siehe RNZ, unten).

Solche Anekdoten erzählte man sich in der anderen Szenerie der Weststadt – bei den eher jüngeren Weststädter*innen, organisiert im rebellierenden katholischen Jugendverband BDKJ/KJG. Ob sie tatsächlich stimmten, konnte nicht mit letzter Sicherheit bewiesen werden. Sie passten aber ins weltanschauliche Bild, das sich die jungen „Rebell*Innen“  über die konservativen Weststadthonoratioren machten. 
Diese junge Szene hatte wenig mit diesem kulturellen und noch weniger mit dem konservativen politischen Milieu zu tun. Obwohl – bzw. weil- sie als „Weststadtkinder und Jugendliche“ in diesem Milieu groß und sozialisiert wurden.
Sie gehören aber zwei unterschiedlichen Generationen an: Kriegsgeneration und Nachkriegsgeneration. In den 70er und 80 er Jahre trafen in der Weststadt (natürlich nicht nur dort…) diese beiden „Generationen“ in ihrem Engagement im Stadtteil aufeinander. Ihre politischen und kulturellen Ausdrucksformen hätten nicht gegensätzlicher sein können.
Trotzdem stellte der „rebellische“ BDKJ bis Ende der 70er Jahre zuverlässig die Bedienung beim konservativen Stadtteilvereinsfest.
„40 Mädchen und Jungen des BDKJ der St.Bonifatiusgemeinde zeigten vorbildliches Engagement für ihre Gemeinde und stellten im fliegenden Wechsel Wein und Bierbecher im Menschengedränge zwischen Bankreihen wie Profis balancierend den Nachschub sicher, bis er auszugehen drohte…“ RNZ vom 24.9.1973 
Dem Eindruck, der in der Presse vermittelt wurde, dass der BDKJ in der Gemeinde St.Bonifatius wohlgelitten sei und in der Weststadt „Friede, Freude, Eierkuchen“ herrsche, widersprach der Jugendverband BDKJ sofort in einem Leserbrief an die Presse. Er wies auf die ungelösten Konflikte zwischen Jugendverband und der katholischen Gemeinde und auf die fehlenden, unabhängigen Treffpunkte für Jugendliche in der Weststadt hin.
Entwurf eines Leserbriefs an die RNZ aus dem Jahr 1973:
Kleiner „Historischer Kompromiss“ in der Weststadt
Trotz dieser virulenten Konfliktlage, sowohl mit der Pfarrgemeinde als auch mit dem Weststadtverein durfte der exilierte katholische Jugendverband auf dem Fest der „politischen“ Gegenseite über mehrere Jahre die Bedienung stellen und dabei die Jugendkasse auffüllen.
Wie kam es dazu?
Einer der Hauptverantwortlichen des Stadtteilvereins und des Weststadtfestes war nicht nur ein „konservativer Knochen“ – so das jugendliche, linke Etikett für dieses Weststädter Urgestein- sondern auch ein sozial engagierter mittelständischer Handwerksunternehmer und Vater von Kindern, die sich zum Teil im exilierten BDKJ St. Bonifatius engagierten. 
Trotz der politischen Differenzen zwischen BDKJ und diesem Handwerksmeister (der Konflikt ragte in sein Familienleben hinein, seine Ehefrau war dem jugendlichen Aufbruch gegenüber sehr aufgeschlossen..) war auf ihn immer Verlass, wenn es um logistische Unterstützung für Aktivitäten des Jugendverbandes BDKJ ging. Eine Art von kleinem, informellem „historischen Kompromiss“ auf Stadtteileben.
Pragmatismus und persönliche Kontakte auf beiden Seiten waren also stärker, als die trennenden politischen und kulturellen Differenzen: Der Weststadtverein konnte auf eine große Zahl von engagierten jugendlichen Hilfskräften beim Weststadtfest zurückgreifen, die Jugendlichen besserten beim für sie eigentlich unerträglichen Bierzeltgetümmel auf dem Wilhelmsplatz ihre Jugendkasse auf.
Dieser informelle „historische Weststadtkompromiss“ funktionierte zum beiderseitigen Nutzen bis ca. Ende der 70 er Jahre recht reibungslos, trotz der andauernden Kritik des Jugendverbands an fehlender öffentlicher Infrastruktur im Stadtteil und des mangelnden Engagements des Stadtteilvereins zur Behebung dieser Defizite, siehe unten.
Anfang der 80er Jahre, 1982, kam es dann aber zum endgültigen Bruch, als der Weststadtverein zum Abschluß seines „Weststadtfestes“ zum „Großen Zapfenstreich“ auf den Wilhelmsplatz rief. Ganz in der Tradition des Namensgebers des Platzes und wohl auch als politisches Statement gegen die starke pazifistische Bewegung (Nachrüstungsdebatte)  dieser Zeit, die sich in Europa entwickelte. 
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Ein Beispiel des BDKJ-Engagements für den Stadtteil Weststadt. Die Gruppe gab Anfang der 70 er Jahre eine Weststadtzeitung heraus, die sich mit einigen Stadtteilproblemen beschäftigte.