HEIDELBERGER WESTSTADT
IM WANDEL

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Stadtverwaltung verhindert den Untergang von Heidelberg
Wäre es im September 1982 nur bei der erfolgreich vom katholischen Jugendverband durchgeführten Kinderspielwoche „Schau Dich um in Deiner Stadt“ geblieben, wäre wohl das KULTURFENSTER nicht so schnell entstanden.
Aber: die ebenfalls bei der Stadt beantragte und genehmigte Abendveranstaltungen für Erwachsene im Bauwagen auf dem Wilhelmsplatz war für Oberbürgermeister Zundel dann doch zu viel.
Kaum war die erste Abendveranstaltung -an einem Freitag- im Bauwagen auf dem Wilhelmsplatz eröffnet, klopfte es an der Tür des Bauwagens. Der Amtsleiter des Heidelberger Rechtsamts erschien höchstpersönlich – obwohl das Wochenende schon eingeleitet war-  mit einer amtlichen Verfügung. Es drohte offensichtlich eine ernsthafte Gefahr für das Gemeinwesen, die es zu verhindern galt.  Die Veranstaltung sei verboten und der Bauwagen müsse unverzüglich vom Wilhelmsplatz verschwinden. Trotz Anmeldung der Veranstaltungsreihe bei der Stadtverwaltung. 
Diese bemerkte aber offensichtlich zu spät, was in diesem kleinen Kulturbauwagen auf dem Wilhelmsplatz stattfinden sollte.
Die KJG kooperierte bei dem kleinen Veranstaltungsprogramm mit der Gruppe „KdW“ / Kultur der Weststadt. Eingeladen wurde zu einer Diskussion über die gerade durchgeführte Verkehrsberuhigung in der Weststadt, über fehlende, allgemein zugängige öffentliche Treffpunkte für Kinder, Jugendliche und Erwachsene sowie zu einer Veranstaltung mit dem Heidelberger Schriftsteller Michael Buselmeier, einer der Lieblingsfeinde von OB Zundel. Zundel nannte ihn ein „Irrer“. Buselmeier wollte  aus seinem neuen Buch „Der Untergang von Heidelberg“ lesen.
Nach einem kurzen, heftigen Geplänkel zwischen den Anwesenden und dem städtischen Vertreter entschieden sich die Anwesenden zur Vermeidung von weiteren Strafaktionen der Stadt Heidelberg die Veranstaltung abzubrechen.
Das eigentliche Problem war aber: wohin auf die „Schnelle“ mit dem Bauwagen, ohne Zugfahrzeug und ohne alternativen Stellplatz? In der Not schoben die Besucher*innen der Veranstaltung den Bauwagen in den gegenüberliegenden Pfarrgarten der Gemeinde St. Bonifatius und informierten sofort den Pfarrer (Ludwig Bopp).
Das Unheil war aber nicht aufzuhalten, die Konfliktdynamik nahm ihren erwartbaren Lauf.
Die Folge der Kinderspielwoche und der Stadtteilkulturaktion war nicht nur ein andauernder öffentlicher Streit mit der Stadt Heidelberg um die Frage, ob nun das Verbot der Veranstaltung durch die Stadt Heidelberg rechtens war oder nicht. 
Große Aufregung herrschte auch in der Pfarrgemeinde St. Bonifatius über die „widerrechtliche Besetzung“ ihres Pfarrgartens. Erinnerungen an den alten Konflikt im Jahr 1972 zwischen Jugendverband und Katholischer Pfarrgemeinde wurden bei allen Beteiligten wach.
Nach ein paar Tagen fand der Bauwagen schließlich sein Asyl auf einem Aussiedlerhof im Heidelberger Süden, der von der Familie einer der Aktiven des Freundeskreis der KJG St.Bonifatius betrieben wurde.
Der katholische Jugendverband KJG St. Bonifatius ließ aber in der Angelegenheit „Alternativer Kulturraum für die Weststadt“ nicht locker. Er beantragte Anfang November 1982 erneut einen Abstellplatz auf dem Wilhelmsplatz für diesen Bauwagen. Und zwar als dauerhafter Treffpunkt für Kinder, Jugendliche und Erwachsene in der Weststadt. Was natürlich nicht genehmigt wurde.
Hier gehts weiter mit der Geschichte
 

Dokumente + Hintergrundinformationen

Verkehrsberuhigung Weststadt

1982 wurde die gesamte Weststadt verkehrsberuhigt. Eine eigentlich unterstützungswerte Maßnahme, wäre sie nicht in einer „Nacht-und Nebelaktion“ von der Heidelberger Stadtverwaltung umgesetzt worden. Lediglich der Weststadtverein hatte dabei einen aktiven Part gespielt. Einer aus dem Stadtteilverein, der damals mitwirkte, erinnert sich heute eher ungern daran. (Siehe unten)  Gegen die Verkehrsberuhigung entwickelte sich breiter Protest im Stadtteil. 
Die „Interessengemeinschaft Verkehrsberuhigung“ gründete sich und machte weitergehende Vorschläge. An dieser Gruppierung waren auch einige junge Leute aus dem Umfeld des autonomen  Jugendverbands KJG Weststadt beteiligt, der Gründungsgruppe des späteren „Kulturfensters“.  Im Kulturbauwagen auf dem Wilhelmsplatz sollte im Herbst 1982 auch über diese Verkehrsberuhigung diskutiert werden. Diese Diskussion konnte aber wegen der Verbotsverfügung der Stadt Heidelberg nicht stattfinden.

 Dokumente zum Thema 

Verkehrsberuhigung in der Weststadt

1. Presseberichte zur Verkehrsberuhigung Weststadt 1982
2. Broschüre der Interessengemeinschaft Verkehrsberuhigung Weststadt, 1982
3. Erinnerungen eines Mitglieds des Weststadtvereins zur Verkehrsberuhigung +
Songtext der „Babysitter von St.Bonifaz (1982 +1994)

Zum lesen der Dokumente, bitte auf die Bilder drücken
 
1. Presseberichte zur Verkehrsberuhigung Weststadt, 1982

2. 1982, Broschüre der Interessengemeinschaft Verkehrsberuhigung Weststadt
 Die Vorschläge und Forderungen der Interessengemeinschaft Verkehrsberuhigung sind in dieser Broschüre dargestellt. 
 
PDF-Dokument; Verkehrsberuhigung Weststadt 1982
3. Erinnerungen von Wolfgang Wimmer + Songtext der Babysitter von St. Bonifaz zur Verkehrsberuhigung Weststadt 
Die Songgruppe „BABYSITTER von St. Bonifaz“ widmete rückblickend am 15.1.1994, anlässlich des 90 jährigen Jubiläums der Gemeinden St. Bonifatius und der Christuskirche, der Verkehrsberuhigung in der Weststadt einen Song.
Die Songgruppe entstand Anfang der 60 er Jahre in der katholischen Weststadtgemeinde St. Bonifatius und war ein „Projekt“ von jungen katholischen Gruppenleitern in der Gemeinde St. Bonifatius, zwischen 18 und 20 Jahre alt. Sie texteten Lieder um und beschäftigten sich darin kritisch, humorvoll nicht nur mit dem Gemeindeleben sondern auch mit politischen Zeitthemen. Die Auftritte fanden bis Anfang der 70 er Jahre in der Regel einmal im Jahr statt. Der Revival Auftritt 1994 war zugleich auch der letzte „Gig“ der Gruppe. Die Sänger waren inzwischen auch in die Jahre gekommen. Sie hatten das stolze Alter von 50 Jahren erreicht.
Mitglieder der Gruppe, in alphabetischer Reihenfolge:
Ulrich Ferdin +, Wolfgang Fürniss +(ex OB Wiesloch + ex CDU Minister in Brandenburg), Rolf-Dieter Gallfuß +, Gerd Weber, Wolfgang Wimmer. Bei einigen Auftritten waren noch  Michael Schmitt (Gitarre, ex Heidelberg Starfighters und „Junior Rockets)  und Heinz Frank beteiligt.
Die Babysitter von St. Bonifaz“ beim „Gemeindebazar“ in St. Hildegard, Mitte der 60 er Jahre. Links Wolfgang Fürniss, rechts Gerd Weber und Michael Schmitt an der Gitarre.
Wolfgang Wimmer und Gerd Weber stellten sich 2023 für ein Gespräch zur Verfügung.
Wir zitieren aus diesem Gespräch, wo es u.a. auch um die Verkehrsberuhigung in der Weststadt ging, die 1982 von der Heidelberger Stadtverwaltung mit Unterstützung des Stadtteilvereins Weststadt veranlasst und umgesetzt wurde.
Wolfgang Wimmer war damals aktives Mitglied im Weststadtverein. Er erinnert sich:
“ Bei der Verkehrsberuhigung war ich mitten drin und vorne dran. Als Initiator und als ausführendes Organ, mit Straßen rum drehen und allem drum und dran.
Wenn ich gewusst hätte, was daraus geworden ist, könnte ich mir heute noch in den Hintern beißen.
Die Weststadt hat mit der Verkehrsberuhigung ihr Gesicht, d.h. ihre Einwohnerstruktur, total verändert. Niemand hat damals im Entferntesten daran gedacht, dass durch die Verkehrsberuhigung dieses Wohnviertel so interessant wird, dass schlagartig innerhalb von wenigen Jahren die Mietpreise ins Astronomische steigen. 
Die alten Gründerzeithäuser im ganzen Viertel, aber auch die Vorkriegshäuser wurden auf einmal so interessant, dass reiche Leute diese Häuser aufgekauft und in Eigentumswohnungen verwandelt haben. 
Vorher war die Weststadt das Musebrodviertel, wo die Wohnungen billig waren, wo Arbeiter wohnten.  Das hat sich mit der Verkehrsberuhigung geändert. D.h. das Wohnen ist um Klassen besser geworden, die Wohnqualität ist erst mit der Verkehrsberuhigung richtig angestiegen.  Und da gab es ganz schlaue Leute, die das sofort erkannt hatten.
Die Verkehrsberuhigung war der Anfang vom Ende, glaube es mir.“

Auftritt der „BABYSITTER

von ST.BONIFAZ, 1994

Thema: Verkehrsberuhigung in der Weststadt
Ansage, 15.1 1994 Jubiläum 90 Jahre St. Bonifaz und Christuskirche
Im Sommer 1982 gab es in der Weststadt einigen Wirbel, ja fast bürgerkriegsähnliche Unruhen. Oberbürgermeister Zundel, Stadtteilverein Heidelberg-West, Straßenbauamt und Stadtwerke waren praktisch über Monate pausenlos im Einsatz. Beim Gemeindefest im Herbst 1982 kommentierten die Nachwuchssänger vom Familienkreis die Vorgänge wie folgt: 
Melodie: „Ein bisschen Frieden….“
Die Menschen der Weststadt sind schon sehr geplant,
Wir haben Verkehrslärm bei Nacht und bei Tag.
Wir wollten hier leben, ganz friedlich und still.
Wie wohl ein jeder will.
 
So gab es endlich `ne neue Idee.
Verkehrsberuhigung nennt man diesen Dreh.
Wir sehn neue Schilder, die Strich auf der Strass.
Ja Leute, da staunt ihr, was?
 
Ein bisschen kurven, ein bisschen fluchen
Und einen neuen Nachhausweg suchen,
ein bisschen kurven, ein bisschen fluchen,
doch bald wird alles viel schöner sein.
 
Keiner kennt sich da mehr aus,
wie kommt ich zu meinem Haus?
Singt mit uns das neue Lied,
weil es das nicht zweimal gibt.
 
Und bist du endlich zum Haus gekommen,
so hast Du damit noch nichts gewonnen.
Du suchst `nen Parkplatz, weil die Behörden,
die halbe Weststadt schon vollgestellt.
 
Ein bisschen kurven, ein bisschen fluchen
Und stets auf`s neue `nen Parkplatz suchen.
Ein bisschen kurven, ein bisschen fluchen,
doch bald wird alles viel schöner sein.
 
Siebzig Mark für`nen Platz beim Haus,
ist für manchen echt ein Graus.
Singt mit uns das neue Lied,
weil es das nicht zweimal gibt.
 
Und hast du einmal was zu besorgen,
doch mit dem Auto hast Du nur Sorgen,
drum nimm dein Fahrrad oder die Beine
und in der Weststadt wird`s ruhiger sein.
 
Du brauchst nicht kurven,
du brauchst nicht fluchen
und keinen neuen Nachhausweg suchen,
du brauchst nicht kurven,
du brauchst nicht fluchen,
und in der Weststadt wird`s ruhiger sein.
 
Autos geben nicht mehr Gas,
Kinder spielen auf der Strass.
Singt mit uns das neue Lied,
weil es das nicht zweimal gibt.
 
Du brauchst nicht kurven,
du brauchst nicht fluchen
und keinen neuen Nachhausweg suchen,
du brauchst nicht kurven,
du brauchst nicht fluchen.
Und in der Weststadt wird`s ruhiger sein.

Der Untergang von Heidelberg

Der Heidelberger Schriftsteller Michael Buselmeier wollte im  Kulturbauwagen im Herbst 1982 aus seinem jüngsten Werk „Der Untergang von Heidelberg“ lesen. Auch diese Kulturveranstaltung fiel unter das Verbot der Stadt Heidelberg.
Infos zum Autoren hier und zum Werk hier.
Das Werk ist  über den Heidelberger Wunderhornverlag zu beziehen, hier.

Lesepobe, Ausschnitte zur Weststadt

Erinnerungen:
Kino Kurbel, Bahnhofstraße; Villa Julius, Goetheplatz, Geschäfte, Elternhaus, Nachkriegszeit, Landhausschule

1979: OB Zundel zu Michael Buselmeier

„Mein Heidelberg“: Der Wunderhornverlag Heidelberg veröffentlichte 1980 ein ausführliches Interview mit dem damaligen Oberbürgermeister Zundel, wo er sich u.a. auch über seine „Feinde“ ausließ. Michael Buselmeier durfte sich damals dazu zählen.  Das gesamte Interview ist in Buchform heute noch beim Wunderhornverlag erhältlich, siehe hier.

Textauszug: Meine Feinde…

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